Wie die Magie des Drechselns Menschen verbindet
5. Nationales Drechslertreffens Brasiliens Ende August in Pomerode
Die Kooperation zwischen dem Wirtschafts- und WissenschaftsZentrums Brasilien-Deutschland (WWZ und der Drechselschule Pomerode gibt es schon seit einigen Jahren – vor kurzem wurde sie nun auch in Holz „gemeißelt“. Neben der Eingangstür zur Drechselschule hängt jetzt ein Holzschild mit der Inschrift: „Incentivado pelo Centro Empresarial e Científico Brasil-Alemanha“. An der kleinen Zeremonie nahm neben Sandra Prochnow-Greuel, Leiterin der Drechselschule, Rechtsanwalt Hans-Dieter Beuthan, Geschäftsführender Vizepräsident des WWZ-BD, Hans Prayon, Aufsichtsratsvorsitzender der Eco Conceitos group S.A. und Ivan Blumenschein, Präsident des Unternehmerverbandes Pomerode, auch Gladis Sievert teil. Die Gründung der Drechslerschule geht auf eine Initiative der ehemaligen Vize-Bürgermeisterin von Pomerode und des WWZ-BD zurück.
Seit diesem Tag im April wurde in dem kleinen Gebäude nahe des Kulturzentrums nicht nur weiter fleißig gedrechselt, sondern auch der Höhepunkt des Jahres vorbereitet: Das 5. Nationale Drechslertreffen vom 19. bis 21. August. Erwartet werden wieder Drechsler aus ganz Brasilien und viele Besucher aus nah und fern. Im vergangenen Jahr konnten sie 170 Ausstellungsstücke bewundern und fünf Drechslern bei der Arbeit zusehen. Das größte Exponat war übrigens eine 1,50 Meter hohe Pyramide der Drechselschule Pomerode. Dieses 4-etagige Prachtstück mit echten Kerzen zum Drehen zu bringen – eine Meisterleistung südbrasilianischer Ingenieurskunst.
Das alles klingt wie eine richtige deutsch-brasilianische Erfolgsgeschichte. Aber wie hat diese Geschichte eigentlich begonnen?
Eine Brasilianerin im Erzgebirge
Die Idee stammt von Gladis Sievert. Dann gab es im November 2008 den Besuch einer brasilianischen Delegation im Erzgebirge. Die Besucher aus dem 11.000 Kilometer entfernten südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina informierten sich in Sachsen über das traditionsreiche Kunsthandwerk der Region. Sie besichtigten Werkstätten von Drechslern und Schnitzern und wurden von der damaligen Oberbürgermeisterin der Stadt Annaberg-Buchholz, Barbara Klepsch, empfangen (heute Staatsministerin in der sächsischen Landesregierung). Schließlich vereinbarte man, dass ein Interessent aus Santa Catarina nach Annaberg-Buchholz eingeladen wird, um hier das Drechseln zu erlernen.
Knapp ein Jahr später traf eine junge Frau aus Pomerode in Annaberg-Buchholz ein. Sandra Prochnow-Greuel, von Hause aus Erzieherin, aber immer schon an kunsthandwerklicher Arbeit interessiert, wollte das Drechseln direkt an der Wiege dieses Handwerks erlernen. Dass sie mit den Leuten aus dem Erzgebirge schnell einen Draht fand, hatte auch mit ihren Deutschkenntnissen zu tun. Kein Wunder, stammen doch die Vorfahren ihres Vaters aus Deutschland.
Von September bis November 2009 war die damals 35-Jährige bei der Drechslerei Breitfeld „angestellt“. Für eine lange Anlaufphase war keine Zeit. Meister Jens Breitfeld wies die Brasilianerin in das sogenannte Runddrehen ein, dann stand sie selbst an der Drechselbank. Ihrem ersten Räuchermann gab sie den Namen Udo – den ihres Großvaters. Die Pomeroderin lernte auch das Bemalen der Annaberger Trachtenfiguren und versuchte sich im Schnitzen und Klöppeln. Zum Schluss legte Sandra Prochnow-Greuel eine symbolische „Gesellenprüfung“ ab.
Mit ihrer Rückkehr nach Pomerode bekamen die kulturellen Aktivitäten der rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt eine neue Facette – neben zahlreichen Schützenverein, Chören und Volkstanz-Gruppen gab es nun auch ein Angebot zum Drechseln.
Drechseln macht den Kopf frei
Unterstützt durch die Stadtverwaltung wurde mit dem Aufbau einer Drechselschule begonnen. Sandra Prochnow-Greuel war hoch motiviert. Ihr Motto: „Drechseln ist meine liebste Kunst, es macht denn Kopf frei." Aber sie wollte nicht nur Weihnachtsengel, Bergmänner und Leuchter selbst drechseln, sondern ihr Wissen auch an andere weitergeben.
Schon bald sprach es sich in Santa Caterina herum, dass man in Pomerode das Drechseln auf erzgebirgische Art erlernen kann. In der kleinen Werkstatt hinter dem Kulturzentrum Pomerodes flogen immer öfter die Späne. Zahllose Figuren erblickten hier das Licht der Weihnachts- und Osterwelt.
Ein wiederentdecktes Handwerk macht Schule
Rund sieben Jahre sind seit diesen Anfängen vergangen. In dieser Zeit hat „Professora Sandra“ schon 90 brasilianischen Frauen und Männern das Drechseln gelehrt. Die Schüler kamen nicht nur aus Pomerode, sondern auch aus Brusque, Itajaí, Blumenau und sogar aus Florianópolis, der Hauptstadt des Bundesstaates. Auch aus anderen Bundesstaaten gab es Anfragen, denn die „Escola de Tornearia em Madeira“ ist die einzige ihrer Art in ganz Brasilien. Und wenn die Teilnehmer zu den Workshops anreisen, dann kommen sie in Pomerode meist bei Gastfamilien unter. Gastfreundschaft wird in Pomerode – wie auch andernorts in Brasilien – groß geschrieben.
Die Kontakte mit Kunsthandwerkern in anderen Landesteilen wurden immer intensiver. Schließlich entstand die Idee eines Drechslertreffens für ganz Brasilien. Das findet in diesem Jahr nun bereits zum fünften Mal statt.
Aber nicht nur zu diesen Treffen, auch zu Ostern und zu Weihnachten zeigen die Absolventen und Schüler der Drechselschule, was sie können. Ihr Meisterstück lieferten sie vergangenes Jahr auf dem „Weihnachtsplatz“ in Pomerode ab – eine 10,50 Meter hohe Pyramide. „Wir haben neun Krippenfiguren gedrechselt und bemalt, die durchschnittlich 1,40 Meter groß sind“, sagt Sandra Prochnow-Greuel. „Das hat viel Arbeit gekostet und bei der Höhe der Pyramide auch Mut.“
Brasilianische Drechsler reisen nach Olbernhau in Sachsen
Nach dem 5. Drechslertreffen und dem nächsten „Weihnachtsplatz“ freut man sich in Pomerode schon auf den Mai 2017. Sandra Prochnow-Greuel: „Dann reisen acht Drechslerschüler und ich nach Olbernhau, eine traditionsreiche Stadt erzgebirgischer Volkskunst in Sachsen. Dort werden wir zeigen, was wir können. Das wird ganz sicher ein Höhepunkt unserer bisherigen Arbeit. Darüber hinaus ist es auch ein Beitrag zu den Kulturbeziehungen zwischen Brasilien und Deutschland.“
Wolfgang Wagner